Schlussbemerkung

Auch wenn die Bedeutung des mythischen Denkens von den Vertretern der Aufklärung und ihren Nachfolgern totgesagt wurde, zeigt sich in der tiefenpsychologischen Annäherung, dass das mythische Denken zum Menschen gehört wie das aufgeklärte Denken auch. Es ist die Sprache des Unbewussten, die trotz hartnäckiger Bestrebungen nicht zum Schweigen gebracht werden kann. Sie ist die Stimme unserer verborgenen Potentiale und Quelle unserer ureigensten Schöpfungskraft. Das, was Campbell als Monomythos bezeichnet hat, ist die Syntax dieser Sprache und wir gebrauchen sie aktiv, wenn wir eine Geschichte oder einen Film schreiben und »lauschen« ihr, sobald wir uns als Zuschauer oder Leser in fiktive Welten versenken.

Die historische Entwicklung der Sprache des Unbewussten reicht zurück bis in eine Zeit, als das aufgeklärte Denken nur in einer hypothetischen Anlage schlummerte. Unzählige Leben von Einzelwesen haben sie geprägt und unzählige Generationen von Kulturen hat sie passiert. Wenn wir in dramatischen Geschichten heute also die monomythische Syntax gebrauchen, haben wir Anteil an dieser Geschichte, der Geschichte unserer Seele. Wenn sich, wie in dieser Arbeit dargestellt wurde, in einem dramatischen Text sowohl die Bewusstseinsentwicklung der Menschheit als auch die psychische Entwicklung des Einzelwesens in symbolischer Gestalt niederschlägt, müssen wir davon ausgehen, dass die Struktur unserer Psyche dafür verantwortlich ist, wie diese Geschichten beschaffen sind. Sie sind eine Kopie unserer psychischen Struktur, die unsere Psyche immer und immer wieder von sich anfertigt. Sie ist die Quelle aller Fantasie und kann nichts weiter tun, als sich selbst beständig einzubringen.

Die Beobachtung, dass sich die monomythische Struktur als Abbild des Lebenswegs in Filmen niederschlägt, kann nicht auf ein bestimmtes Genre reduziert werden. Vielmehr vollzieht sich dieser Prozess in unterschiedlichen Genres anhand eines eigenen symbolischen Vokabulars. Wenn in der Dramaturgie also die Diskussion über archetypisches Erzählen nur schwerlich zu einem griffigen Konsens kommt, dann deshalb, weil das Archetypische in jedem Film mit monomythischer Struktur angelegt ist, egal wie sehr uns die Symbolik stereotypisiert erscheint. Einzig unsere kulturelle Gewöhnung beeinflusst in diesem Punkt unsere Rezeption. Je stärker wir uns an eine bestimmte Erscheinung der Archetypen gewöhnt haben, je mehr ein Film für uns vorhersehbar wird, desto weniger werden wir verleitet, mit dem Urgrund unserer Seele Kontakt aufzunehmen. Wann immer ein Film monomythisch erzählt wird, haben wir es mit belebten Archetypen zu tun.

Je mehr wir uns an die Art und Weise der Erzählung jedoch gewöhnt haben, desto mehr verschiebt sich unser Filmerleben von einer perzeptiven, also unbewussten, zu einer kognitiven, d.h. bewusst verstehenden Wahrnehmung des Dargestellten. Der Prozess der kulturellen Konventionalisierung von Symbolen beraubt uns also nicht per se dem Wiederfinden unseres archetypischen Bewusstseinsursprungs im Film, sondern mindert nur die Möglichkeit, mit seiner numinosen Wirkung in Berührung zu kommen und neue Impulse für unser Leben daraus zu gewinnen. Wenn mit der vorliegenden Arbeit eine Konsequenz an die Dramaturgie herangetragen werden kann, dann jene, mehr auf die schöpferischen Energien des Unbewussten zu vertrauen und das Archetypische im Autor durch eigene Introjektion aufzuspüren, statt sich für eine wirkungsvolle Geschichte übermäßig auf rationalisierte Erfolgsformeln zu verlassen.

Was in dieser Arbeit versucht wurde, nämlich die motivische Grundstruktur von Geschichten mit der psychischen Struktur des Menschen abzugleichen, ist von vornherein durch eine methodische Beschränkung erschwert gewesen. Ebenso wie Träume eines Patienten in Psychoanalyse nur durch Anreicherung mit motivisch ähnlichem Material annähernd verständlich gedeutet werden können, kann auch die Deutung mythischer Motive im Film im Hinblick auf ihren psychischen Ursprung in der seelischen Struktur des Menschen nur durch Hinzuziehen von Vergleichsmaterial wissenschaftlich befriedigend vonstatten gehen. Das, was Jung als Amplifikation bezeichnet hat, war nicht zufällig auch der methodische Weg Joseph Campbells: Erst durch das Vergleichen von unzähligen Motiven und deren struktureller Aufreihung konnte er zu einer Verallgemeinerung gelangen, die ihm Rückschlüsse auf die Seelenlandschaft des Menschen erlaubten.

Das Phänomen der mythischen Reise im Film unter tiefenpsychologischem Gesichtspunkt darzustellen kann in so begrenztem Rahmen daher nur ein Kompromiss zwischen Wissenschaft und Untersuchungsgegenstand sein, da nicht die Reduktion, sondern die Amplifikation einzelner Motive mit phänomenologischem Material aus Träumen, Mythen, Märchen und Religionsgeschichten jener Weg wäre, der dem bildhaften und assoziativen Wesen des Unbewussten mehr gerecht wird. Erst die Fülle von Vergleichsmaterial könnte die Parallelen zwischen Psyche und Film in einer angemessenen Qualität darlegen. Dies ist wohl in kaum einer wissenschaftlichen Arbeit zu leisten und bleibt eine beständige Aufgabe des alltäglichen Forschens und Beobachtens mit einem geschärften Blick für die Seele des Menschen. Diese Aufgabe obliegt jedoch nicht mehr nur dem Psychoanalytiker. Seit der Begriff der Archetypen durch die Drehbuchliteratur geistert, darf der Analytiker sich diese Aufgabe teilen mit jenen Berufsgruppen, deren täglich Brot die Produkte der menschlichen Psyche und ihre Nahrung zugleich sind: Dramaturgen, Filmwissenschaftler und Drehbuchautoren.