Die Segnung

Der Todesbegegnung folgt bei Campbell der Zustand der Apotheose, in dem die Auflösung der Gegensätze durch Überwindung der Vorstellungen von Gut und Böse erreicht ist. Der Begriff »Apotheose« deutet darauf hin, dass der Held nun zu einem gottähnlichen Zustand erhoben wird. Die nun folgende Segnung bezeichnet Vogler schlicht als »Belohnung« 1, doch dies ist nicht sonderlich treffend. Sobald der Held eine Aufgabe gelöst hat, erfährt er immer wieder Belohnungen. Die Segnung hingegen entspricht einer übergeordneten Belohnung, die dem Helden in jenem Moment zuteil wird, da er alle entscheidenden Prüfungen der Unterwelt bestanden und ihre Lehren verinnerlicht hat. Der Held tritt also nun in einen Zustand von völlig neuer Bewusstseinsqualität, die tiefenpsychologisch der letzten Stufe vor Erreichen höchster Zentroversion entspricht. Die archetypischen Inhalte sind an das Bewusstsein angeknüpft, d.h. die Gegensatzspannung zu ihnen ist überwunden. Dennoch ist die Selbst-Werdung noch nicht vollständig erreicht, sondern sie kündigt sich an durch das vereinigende Symbol, das nun das Ende der Nachtmeerfahrt einläutet.

Im Film kann die Phase der Segnung sehr unterschiedliche Ausprägungen annehmen. Vogler listet hierfür zahllose Möglichkeiten auf, die von Entspannung, über ein Fest bis hin zu Liebesszenen reichen. Der wahrhaft mythische Charakter dieser Stufe entfaltet sich jedoch vor allem dann, wenn der Zustand der vereinigten Gegensätze und die erfolgreiche Entwicklung des Helden mit einbegriffen werden. Der Mann ohne Vergangenheit erhält seine Segnung durch ein äußerst bizarres Ereignis, das jedoch das vereinigende Symbol zum Ausdruck bringt: Als er von der Polizei entlassen wird und sich in einer Bar ein Bier genehmigt, sucht ihn der Bankräuber auf und entschuldigt sich für die Unannehmlichkeiten. Indem er M um seine Hilfe bittet, den ausstehenden Lohn an seine Angestellten zu verteilen, bringt er M jenes Vertrauen entgegen, das man ihm von offizieller Seite aufgrund mangelnder Formalitäten bis dahin versagt hat. Er erkennt in M einen ehrenhaften Menschen und entschädigt ihn für seine Hilfe auch finanziell, womit M zweierlei entscheidende Güter erhält, um die er sich bis dahin mit aller Macht bemüht hat.

Der Bankräuber vereint dabei alle widersprüchlichen Elemente, die bis zu jenem Moment nur als Gegensätze aufgetreten sind. Er hat die negative Seite von Wirtschaft und Bürokratie kennen lernen müssen, die zum Bankrott seines Unternehmens führten und ihn zu kriminellem Verhalten drängten. Doch statt als anti-moralische Schattenfigur entpuppt er sich als das genaue Gegenteil, als wir den Grund für seinen Banküberfall erfahren. Nicht Egoismus, sondern Loyalität ist sein Motiv zur Kriminalität. Er will seinen Arbeitern den ausstehenden Lohn auszahlen, auch wenn er sich selbst in der Gewissheit wägt, dafür ins Gefängnis zu gehen. Mit Auftauchen des Bankräubers sind die Fronten von Gut und Böse endgültig in Frage gestellt. Dass er M als Mittelsmann auserwählt, zeugt von seiner Gewissheit, in M einen vertrauenswürdigen Partner gefunden zu haben, der seine ambivalenten Bemühungen nachvollziehen kann. Die Gratwanderung zwischen Kriminalität und Loyalität wird für M so zu einer Belohnung, die belegt, dass er die Kluft zwischen den Gegensätzen innerlich überwunden hat.

  1. Vgl. Vogler 1997, S. 283