Zusammenfassung der Ergebnisse

Die Ausführungen dürften deutlich gemacht haben, dass die motivischen und strukturellen Zusammenhänge zwischen monomythischen Geschichten und der menschlichen Lebensreise wesentlich komplexer sind als sie in Christopher Voglers Odyssee des Drehbuchschreibers beschrieben werden. Grundsätzlich zeigt sich, dass es sich sowohl beim Film als auch bei der psychischen Entwicklung jeweils um ein Gesamtsystem handelt, dessen einzelne Elemente nur in einem inneren Zusammenhang betrachtet werden können. Dabei können bestimmte Grundkräfte festgehalten werden, die sich folgendermaßen veranschaulichen lassen:

Abb. 11 – Synchronischer Blick auf das tiefenpsychologische Kräfteensemble

Abb. 11 – Synchronischer Blick auf das tiefenpsychologische Kräfteensemble

In der Darstellung wird ersichtlich, welche Grundkonstanten das archetypische Kräftespiel formen. Dabei muss zuallererst der Blick auf den konfliktlosen Pleroma-Zustand gerichtet werden, der sowohl am Beginn als auch am Ende jeder monomythischen Entwicklung steht. Der Verlust des harmonischen Zustandes wird motiviert durch eine anstehende Entwicklung und erst der Weg durch ein archetypisches Konfliktfeld führt zur Auflösung der Gegensätze und zurück in das Pleroma, das am Ende immer von anderer Qualität ist. Diese knappe Formel mag sehr einfach und geradezu selbstverständlich klingen. Einfach erscheint es uns wohl aber nur deshalb, weil uns dieser Prozess durch den Mythos im Film so vertraut ist. In der Beurteilung der einfachen Formel sollte man zudem nicht vergessen, dass es sich um jenes »geheime« Prinzip handelt, das den Lehren aller geistigen Schulen zugrunde liegt. Was wir im Film als selbstverständlich empfinden, begleitet uns in jedem geistigen Lebensbereich, ohne dass wir der Analogie gewahr werden.

Abb. 12 – Synchronischer Blick auf das dramaturgische Kräfteensemble

Abb. 12 – Synchronischer Blick auf das dramaturgische Kräfteensemble

Die wesentlichen Schwachstellen und Ungenauigkeiten in Voglers Odyssee des Drehbuchschreibers lassen sich darauf zurückführen, dass seinem Modell der Blick auf dieses einfache, aber dennoch komplexe Gesamtsystem fehlt, wodurch die Plausibilität und die Universalität seiner Ausführungen nicht so umfassend gegeben ist, wie es durch einen tiefgründigeren Vergleich von Film und menschlicher Entwicklung möglich wäre. Greift man seine Verknüpfungen der mythischen Reise mit der dramatischen Spielfilmstruktur auf und ergänzt sie um die Individuationsschritte, lässt sich die gleichartige Struktur von psychologischem und dramaturgischem Entwicklungsweg aus einer eher diachronischen Perspektive folgendermaßen zusammenfassen:

Individuationsweg Dramaturgisches Schema
Urfrühe: Konfliktloser Zustand, da das Bewusstsein noch nicht existiert, aber im Keim bereits angelegt ist Gewohnte Welt: Konfliktloser Zustand,
bei dem im Protagonisten allerdings ein unbewusstes Defizit schlummert
Geburt von Ich bzw. Selbst Anstoß
Begegnung mit den Inhalten des 
Unbewussten 1. Wendepunkt
Weg der Gegensatzvereinigng Weg der Konfliktbekämpfung
› Schatten: eigengeschlechtliche,
niedere Persönlichkeitsanteile
› Antagonistische Kräfte
› Seelenbild: gegengeschlechtlich 
gefärbte Persönlichkeitsanteile › PartnerIn / VerbündeteR
› Selbst: höchste steuernde Instanz 
und Entwicklungsziel › Ziel des Protagonisten, das ihn vorantreibt. Dabei kann das innere Entwicklungsziel dem Protagonisten unbewusst sein und vom äußeren abweichen
› Todesarchetyp › Krise und Höhepunkt des 2. Akts: konfrontiert Protagonisten mit seiner größten Angst
Beendigung der Konfrontation mit 
dem Unbewussten 2. Wendepunkt
Integration der unbewussten Inhalte 
ins äußere Leben Klimax
Pleroma des Selbst Auflösung

Konkretere Überlegungen zu filmspezifischen Fragestellungen, die sich aus den Abweichungen zu Voglers Modell ergeben, werden im nachfolgenden Teil behandelt.