Lebenswelten als Symbole für Bewusstseinszustände

Das Bewusstsein: Die Erziehung des Helden

Mit der Geburt des einzelnen Menschen und der Herausdifferenzierung der Menschheit aus der unbewussten Einheit der Natur kommt es zur Entstehung des Bewusstseins. Es zu beschreiben bleibt immer nur ein vager Versuch, da es das Bewusstsein selbst ist, welches eine Erklärung über sich zu geben versucht und ein objektiver Blick auf den Gegenstand schier unmöglich ist. In der Abgrenzung zum Unbewussten lässt sich das Bewusstsein jedoch beschreiben als jener Teil der Psyche, der uns zu einer Selbstwahrnehmung als Einzelwesen befähigt, bzw. in Bezug auf die Menschheit zur Wahrnehmung als Art, die sich von ihrer Umgebung unterscheidet. Gleichfalls befähigt uns das Bewusstsein zur Entwicklung eines Willens, der es uns ermöglicht, unsere Triebnatur (bis zu einem gewissen Grad) zu beherrschen.

Das Zentrum, das für die Steuerung dieser aktiven Prozesse verantwortlich ist, ist das Ich. Das Bewusstsein ist der Träger von moralischen und kulturschaffenden Werten, die durch den Willensakt des Ich »verwaltet« werden. Die Identifikation des Ich mit den Qualitäten des Bewusstseins ist ein entscheidendes Charakteristikum, das für eine Abgrenzung zu den Inhalten des Unbewussten sorgt. Instinkte, Triebe und Affekte liegen außerhalb des Ich-Bewusstseins und sorgen damit für die Entstehung eines Gegensatzverhältnisses zwischen den Inhalten des Bewusstseins und des Unbewussten. Mythologisch schlägt sich dieses Verhältnis nieder in dem Motiv der Gegensätze. Mit der Herauslösung des bewussten Lebens aus der Ureinheit kommt es zur Entstehung der Polaritäten. Das männliche und das weibliche Prinzip gehen als zwei Hälften aus der Ureinheit hervor und stehen dabei nicht nur für das Geschlecht per se, sondern ebenso für die mit ihm assoziierten Eigenschaften. Kultur und Natur, Logos und Eros, irdische und jenseitige Dimension. Das Polaritätsprinzip führt unweigerlich zur Auflösung der uroborischen Harmonie und führt durch das stetige Spannungsverhältnis zur Entstehung von Konflikten und damit zur Unterscheidung in Gut und Böse. Die zahllose Liste möglicher Gegensatzpaare lässt sich stets auf die dichotome Struktur der menschlichen Seele zurückführen, durch die das Erkennen und Bewerten naturgemäß wertneutraler Gegebenheiten erst möglich wird.

Doch das Bewusstsein ist weder beim Kind noch bei der archaischen Menschheit mit dem Zeitpunkt der Geburt vollständig entwickelt. Vielmehr erwacht es sukzessive, was schließlich zum Höhepunkt dieser Entwicklung führt, der vollständigen Ausbildung des Ich. Zwei archetypische Kräfte sind an diesem Entwicklungsprozess maßgeblich beteiligt: Der Archetyp der Großen Mutter ist in der Entwicklung des Einzelwesens verkörpert durch die leibliche Mutter, in der Entwicklung der Menschheit entspricht sie den Kräften der gleichsam nährenden wie auch vernichtenden Natur. Der Archetyp des Großen Vaters entspricht dem Wesen des leiblichen Vaters bzw. dem geistigen Prinzip der Kultur. Nach der Herauslösung aus der Ureinheit wird die Große Mutter vom Ich-Keim zunächst in ihrem positiven Wesen wahrgenommen, als schützend und nährend. Was beim Kleinkind die Mutterbindung ist, findet in archaischen Kulturen seine Entsprechung in einer starken Verbundenheit mit und in Abhängigkeit von der Natur. Mit fortschreitender Entwicklung erscheint die Große Mutter dem Ich-Keim zunehmend in ihren negativen, verschlingenden Eigenschaften, was den Ich-Keim seine Aufmerksamkeit verstärkt auf den Großen Vater lenken lässt. Diese Wendung führt den Ich-Keim zum Erkennen der Doppelnatur und es begreift sich erstmals als eigenständiges Subjekt.

Folglich wendet er sich von den Welteltern ab, die nun beide in ihrem negativen Charakter zutage treten und versuchen, ihn an sich zu binden. Ontogenetisch fällt dieses Stadium in der Regel mit dem Beginn der Pubertät zusammen. In der endgültigen Emanzipation von den Welteltern muss der Ich-Keim sich nun beiden nacheinander stellen. Zunächst trifft er dabei auf den Drachen der Großen Mutter und ist herausgefordert, seine Angst vor der weiblich-mütterlichen Dominanz zu besiegen. Dieser Schritt ist für das (männliche) Individuum ein unumgänglicher Schritt, um zum sexuell aktiven Einzelwesen zu werden, das befähigt ist, Weiblichkeit losgelöst von der Mutter-Imago zu erfahren. Dies gelingt nur, indem sich der Jüngling mit dem geistigen Aspekt des Großen Vaters identifiziert. Dieser Schritt kommt einer zweiten Geburt des Individuums aus der Umschlingung der Großen Mutter gleich, jedoch ist dies eine geistige Geburt, die den Eintritt ins Erwachsensein einläutet und das nun geistig initiierte Wesen zum Kulturträger macht. Diese vollständige Loslösung von der Weltmutter entspricht in der phylogenetischen Entwicklung dem Übergang vom Matriarchat zu einer patriarchalen Gesellschaftsordnung.

Nun folgt die Auseinandersetzung mit dem Drachen des Großen Vaters, der in zweierlei Erscheinungen überwunden werden muss. Durch den Aspekt des furchtbar-phallischen Erdvaters droht dem jungen Ich die Überwältigung durch seine Triebseite, der furchtbare Geistvater hingegen droht, entweder das Ich durch starre Traditions- und Moralvorstellungen an eine Kollektivnorm zu binden und seine eigene geistig-moralische Entwicklung in traditionsgebundener Abhängigkeit zu halten. Oder dem Ich droht die Beschneidung um seine Triebnatur, was es durch intellektuelle Einseitigkeit seiner sexuellen Seite berauben würde. Sind diese beiden negativen Aspekte des Großen Vaters überwunden, hat der einstige Ich-Keim sich von allen äußerlichen Bindungen erfolgreich gelöst und die Herausdifferenzierung und Stärkung des Ich ist vollzogen. Damit sind alle Voraussetzungen getroffen für die eigene Fortpflanzung und die Schaffung eigener kultureller Werte, wofür die maximale Stabilität des Ich unabdingbar ist. Jedoch hat die Herausbildung und Stärkung des Ich noch eine weitere Funktion: Das Ich muss als Gegenpol zum Unbewussten selbigem gegenüber so komplementär wie möglich etabliert sein, damit es im nun folgenden Prozess der Gegensatzvereinigung den Kräften des Unbewussten standhält und nicht Gefahr läuft, von ihnen verschlungen oder gar aufgelöst zu werden.

Die Qualitäten des Bewusstseins spiegeln sich im Film deutlich in der Disposition des Helden seiner Reise gegenüber wider. Das Ich (der Held) steht im Dienste des Bewusstseins (der gesellschaftlichen und kulturellen Erziehung des Helden) und hat die Aufgabe, seine Errungenschaften vor den unkontrollierbaren Einflüssen des Unbewussten (der antagonistischen Kräfte) zu schützen, da diese seine Existenz massiv bedrohen. Kultur, Moral, Ethos, Willens- und Entscheidungsfreiheit sind jene Werte, die es dabei zu verteidigen gilt. Der Schutz dieser Werte konstituiert das grundlegende Spannungsverhältnis zwischen protagonistischen und antagonistischen Kräften. Um die Disposition des Helden zu Gunsten des gesellschaftlich Erwünschten zu verstärken, finden wir häufig die Archetypen der Ich-Erziehung im sozialen oder gesellschaftlichen Hintergrund des Helden wieder.

Eine geläufige Möglichkeit hierfür ist die Verbundenheit zu einer Institution, in deren Dienst der Held steht. Eine Glaubensgemeinschaft, eine Universität, eine Firma oder eine staatliche Einrichtung können solche Instanzen sein. In der Regel repräsentieren sie die Qualitäten des kulturell-geistigen Großen Vaters. In Das Schweigen der Lämmer finden wir diese Konstellation wieder. Das FBI ist hier die höhere Instanz, der die Heldin Clarice Starling untersteht und in deren moralischer Verpflichtung sie steht, Buffalo Bill zu fassen.

Eine weitere Möglichkeit, die Archetypen der Heldenerziehung einzubringen, bietet sich durch die tatsächlichen Eltern des Helden. Sie haben ihn mit bestimmten Werten ausgestattet, deren Gültigkeit durch das Hereinbrechen negativer Kräfte gefährdet ist. In Die unendliche Geschichte 1 beispielsweise ist der Held Bastian angehalten, die rationalitätsverbundene Lebenshaltung seines Vaters anzunehmen. Als jedoch seine Aufgabe, Phantásien zu retten, an ihn herangetragen wird, wird die ausschließliche Gültigkeit dieser Erziehung in Frage gestellt. Doch ebenso wie das Ich nicht seine gesamte Verstandestreue in der Konfrontation mit dem Unbewussten aufgeben darf, enthält auch Bastians Erziehung wertvolle Facetten, die seine Position im Kampf gegen das Nichts bestärken. »Hör auf in den Wolken zu schweben und stell’ dich deinen Problemen« lautet die Botschaft seines Vaters. Sich über die rationalistische Ich-Prägung des nicht träumen Dürfens hinwegzusetzen, wird eine wesentliche Errungenschaft im Verlauf seiner Reise werden. Die Aufforderung, sich seinen Problemen zu stellen, bedeutet für Bastian jedoch eine wichtige Lehre, wenn er sich gegen die antagonistischen Kräfte Phantásiens zur Wehr setzen muss. So profitiert er zunächst von seiner Erziehung. An diesem Beispiel wird deutlich, wie sich die Bewusstseinsqualitäten im Verlauf der Entwicklung relativieren. Es ist die Herausforderung des Helden, den bestärkenden Teil seiner Erziehung beizubehalten, um von den negativen Kräften nicht verschlungen zu werden. Bestimmte Ich-Prägungen müssen jedoch überwunden und in ein gemäßigtes Gleichgewicht von alten und neuen Einflüssen überführt werden.

  1. Regie: Wolfgang Petersen (1984)