Die mythische Reise im Genre-Vergleich

Bei der Untersuchung archetypischer und mythischer Strukturen im Film und den aus ihnen erwachsenen Konventionen streift man unweigerlich das Problemfeld der Genrekonventionen, in denen sie konzeptualisiert sind. Kaum ein anderes Problemfeld der Filmwissenschaft ist kontroverser und uneindeutiger behandelt worden als die Frage nach Genres und ihren Eigenheiten. Bereits der Genre-Begriff, so wie er in der Literatur umrissen wird, eröffnet ein relativ breites Spektrum an definitorischen Facetten.

Hickethier beschreibt Genres als inhaltlich-strukturelle Bestimmungen von Filmgruppen, die das Wissen des Zuschauers über Erzählmuster, Themen und Motive organisiert. 1 Nach Tudor besitzen einzelne Genres jeweils einen mythologischen Kern und ein kulturelles System, das sie konstituiert. 2 Nach McConnell ist dieses kulturelle System der eigentliche Urheber einer Geschichte und es wird vom Autor bzw. vom Regisseur nur aufgegriffen und neu formiert. 3 Da folglich nicht der Autor, sondern das Genre die Geschichte erzählt, stellt Hickethier dem Genrefilm den Autorenfilm gegenüber, zweifelt den ausschließenden Charakter dieser Dichotomie jedoch an. Mikos betont die kommunikative Funktion, die dem Genre zukommt. Nach Mikos sind Genres vor allem ein Instrument für die Produzenten, ein Produkt auf dem Markt zu platzieren und gezielt Zuschauererwartungen zu bedienen. Einzelne Genres bildeten sich dann heraus, wenn ein Film besonders erfolgreich war. Die Verwendung gleicher Themen und Gestaltungselemente geben dem Zuschauer ein Versprechen darüber, was ihn erwarten wird. Somit sind Genres eine Art Gebrauchswertversprechen, das ein kommunikatives Vertrauen beim Zuschauer schafft 4 und sie werden zu einem »Instrument der Verständigung über Bedeutungen«. 5

Da Genres auf eine historische Entwicklung zurückblicken und gesellschaftlichen Veränderungen unterworfen sind, haben sie einen dynamischen Charakter und sind stetigen Wandlungen unterworfen. Ihre Dynamik macht es zum einen nahezu unmöglich, sie trennscharf zu kategorisieren und zum anderen, ihre jeweiligen Konventionen zu kanonisieren. Der prototypische Genrefilm ist daher eher ein hypothetisches Konstrukt, das sich durch die Genre-Erfahrung der Zuschauer herausbildet und in der Betrachtung und Deutung von Filmen als mentale Vergleichsgröße dient.

Was die filmwissenschaftliche Literatur als Genrekonventionen bezeichnet, umfasst weit mehr als bloße dramaturgische Gesichtspunkte. Alle denkbaren Gestaltungsebenen im Film erfahren in der genrebezogenen Verwendung Konventionalisierungen und werden vom Zuschauer in den Beurteilungsprozess einbezogen. Im Folgenden soll jedoch das Augenmerk auf die Dramaturgie einzelner Genres gerichtet werden, wobei andere Gestaltungsebenen weitgehend unberücksichtigt bleiben. Anhand von drei ausgewählten Genres soll untersucht werden, wie sich die mythische Reise im Rahmen der motivischen und dramaturgischen Konventionen einzelner Genres wiederfinden lässt.

  1. Vgl. Hickethier 2001, S. 213
  2. Vgl. Tudor 1973, S. 92 zitiert nach ebd. 2001, S. 214
  3. Vg. McConnell 1977, S. 7 f zitiert nach ebd., S. 214
  4. Vgl. Mikos 2003, S. 253 f
  5. Casetti 2001, S. 155 zitiert nach ebd., S. 253