Der Stereotypen-Begriff in der Sozialpsychologie

In der Sozialpsychologie wird gemeinhin unter Stereotypen die verallgemeinernde, schematische Reduzierung einer Erfahrung verstanden, die zu einer vereinfachten Orientierung in der Umwelt verhilft. Bedeutende Arbeit leistete hierfür Walter Lippmann 1, dessen Ansatz später von Niklas Luhmann 2 weiterentwickelt wurde. Nach Lippmann ist die Stereotypenbildung ein rationelles Verfahren des Individuums, um die Komplexität seiner realen Umwelt zu reduzieren. Stereotypen entstehen dabei durch eine selektive Wahrnehmung, die dem unbewussten Streben nach Vereinfachung, Eindeutigkeit, Stimmigkeit und Stabilität folgt. 3  Doch auch der umgekehrte Vorgang wird berücksichtigt. Unter Stereotypisierung versteht die Sozialpsychologie daher ebenso die Tendenz, Menschen viele Eigenschaften eines typischen Vertreters seiner Gruppe zuzuschreiben.

Diese zwei Tendenzen der Stereotypisierung bezeichnet W. Wasel als deren funktionalen und dysfunktionalen Aspekt. Aus funktionaler Sicht sind Stereotypen kognitive Werkzeuge, die uns dabei helfen, die auf uns einströmende Informationsflut zu bewältigen. Sie sind aufgebaut in Form von semantischen Netzwerken. Ihren Knotenpunkt bildet eine jeweilige Kategorie (z.B. Blondine, Türke), die mit bestimmten Eigenschaften assoziativ verknüpft ist. Die Kategorien und ihr Netzwerk sind als mentale Struktur in Form von Propositionen im Langzeitgedächtnis gespeichert. Dank dieser Strukturen reicht im Alltag ein Stimulus aus, um Schlussfolgerungen über eine Person und ihre Eigenschaften, Verhaltensweisen und Rollen zu ziehen. Dieser funktionale Aspekt des stereotypen Denkens entspricht dem principle of least effort 4, nach welchem Stereotypenbildung als eine Form der Schemabildung verstanden werden kann, die dafür sorgt, dass die begrenzte kognitive Kapazität des Menschen möglichst effektiv genutzt wird. 5

Die dysfunktionale Sicht hingegen führt zur Ausbildung dessen, was Stereotypen als deren negative Auswirkung anhängt: Vorurteile, Diskriminierung und Rassismus. »Stereotypen sind kognitiv gespeicherte Strukturen, in denen Meinungen über eine bestimmte Gruppe repräsentiert sind.« 6 Für diese Strukturen sind Vorurteile die gefühlsmäßige Basis. Stereotypen und Vorurteile stehen daher in einer engen Verbindung und bestimmen unser Handeln. Werden Vorurteile ausagiert, spricht man von Diskriminierung und Rassismus. 7

  1. Walter Lippmann (1964): Die öffentliche Meinung.
  2. z.B. Niklas Luhmann (2002): Soziale Systeme. Darmstadt.
  3. Vgl. Brockhaus Bd. 21, S. 103 f
  4. Vgl. Allport 1954 zitiert nach Wasel 1998, S. 9
  5. Vgl. Wasel 1998, S. 9 f
  6. Ebd., S. 13
  7. Vgl. ebd., S. 12 f