Konventionalisierung der mythischen Reise
Alle aufgeführten Genres weisen eine monomythische Struktur auf, wobei sich die mythischen Themen und ihre Symbolisierungen je nach Genre unterscheiden. Somit kann nicht davon ausgegangen werden, dass es sich bei der mythischen Reise um ein Phänomen handelt, das bestimmten Genres vorbehalten bleibt. Vielmehr zeigt sich, dass sich die mythische Reise in einzelnen Genres durch ein unterschiedliches symbolisches Vokabular manifestiert, das relativ abgegrenzte motivische Schwerpunkte umspielt. Während z.B. das Melodrama stark von der individuellen Psyche des Helden geprägt und damit die Heldenreise internalisiert ist, ist sie im Abenteuerfilm fast vollständig nach außen projiziert, sodass die heldenhafte Entwicklung kaum noch im Helden selbst, sondern fast ausschließlich in Manifestationen außerhalb des Helden wahrgenommen werden kann.
Inwiefern ein Film mythischen Charakter hat bzw. archetypische Wirkungen erzielt, lässt sich formal nicht an den Eigenschaften eines Genres festmachen, sondern bedarf der Berücksichtigung vieler, sich gegenseitig beeinflussender Faktoren. Unbestreitbar ist wohl aber, dass sich selbst die visuell stärkste Geschichte nicht auf ihrer engen Verwandtschaft zum Mythos ausruhen und ihre Figuren um jedweden Charakter beschneiden darf. Auch mythische Geschichten kommen nicht ohne eine innere Dimension des wachsenden Helden aus, da sie die Plausibilität des Mythos begründet. Wenn es in den Sandalenfilmen der 50er und 60er Jahre bis zu einem gewissen Grad möglich war, gesichtslose Helden zu erschaffen, muss dies wohl anderen Umständen zugeschrieben werden als der Nähe zum Mythos. Der herrschende Zeitgeist, eine schwach ausgeprägte Medien- und Genrekompetenz, ein stärkeres Interesse von Produzenten und Zuschauern an visuellen Eindrücken als an psychologischen Geschichten etc. mögen Ursachen dafür sein, dass zeitweise auch charakterlose Helden ihr Publikum fanden. In der Fortentwicklung der Filmindustrie zeigt sich wohl aber nicht ohne Grund, dass der reine Genrefilm immer nur eine kurze Lebensdauer hat, bevor sich Genres mischen, aufgelöst oder neu entwickelt werden.
Doch auch wenn sich die mythische Reise als Grundstruktur einer dramatischen Erzählung Genre-unabhängig wiederfindet und sich symbolisch manifestiert, sagt dies noch nichts über die psychische Qualität der verwendeten Symbolik aus. Im Diskurs über Stereotypen ist bereits deutlich geworden, dass sich Konventionalisierungen von Symboldarstellungen stets auf ihren psychologischen Bedeutungsgehalt auswirken. Auch die Thematik der Genrekonventionen wirft die Frage auf, inwiefern durch kulturelle Symbol-Normierung das archetypische Potential einer Geschichte und damit seine unbewusste Rezeption beeinträchtigt werden. Ein wesentliches Charakteristikum der Genrefilme ergibt sich aus ihrer Funktion für den Zuschauer. Genrefilme zielen darauf ab, Bedeutungsvielfalt auf ein Minimum zu reduzieren und eine möglichst große Verständnis-Übereinkunft beim Publikum herzustellen:
»Als Orientierungssysteme schränken sie die möglichen Bedeutungen eines konkreten Film- und Fernsehtextes ein und binden die Zuschauer in konventionalisierte Bedeutungszuweisungen in Bezug auf Inhalt und Repräsentation, Narration und Dramaturgie, Figuren und Akteure, Ästhetik und Gestaltung ein, weil sie auf Verständigung hin orientiert sind.« 1
Mikos weist darüber hinaus darauf hin, dass die Rezeption von Genrefilmen eine Genre-Kenntnis des Zuschauers voraussetzt. Erst wenn die Konventionen erlernt wurden, können sie ihre kommunikative Funktion erfüllen. Ein Zuschauer ohne Kenntnis der Genrekonventionen wird daher einem Genrefilm weitaus vielfältigere Bedeutungen entnehmen können als ein Zuschauer, der mit den Konventionen vertraut ist. 2 Daraus lässt sich der Schluss ziehen, dass Genrefilme nicht von vornherein einer vielschichtigen symbolischen Bedeutungsebene entbehren, sondern sich erst durch Gewöhnung des Zuschauers eine Reduktion der symbolischen Inhalte vollzieht. Durch den instrumentalisierten Gebrauch der Symbole kommt es zu einer Art Abnutzung ihres Gehalts und der Symbolcharakter der filmischen Darstellungen verschiebt sich bei der Aneignung von Genre-Kompetenz hin zum Zeichencharakter. Während Symbole weitestgehend unvoreingenommen vom Unbewussten rezipiert und dem Bewusstsein nur bruchteilhaft übersetzt werden, hat das Zeichen bereits den Bewusstseinsakt der Konventionalisierung durchlaufen – mit der Folge, dass das Zeichen mit einer bestimmten Bedeutungszuweisung belegt ist.
Die Konventionalisierung von Filmsymbolen eröffnet auf der einen Seite zwar neue kommunikative Möglichkeiten des Erzählens, beschneidet die Filmwirkung allerdings um ihre transzendente Komponente. Konventionalisierte Erzählschemata erleichtern dem Zuschauer die Orientierung im Film, jedoch zugunsten einer tiefergehenden Aktivierung unbewusster Potentiale, die neue Impulse vermitteln und neue Erkenntnisse hervorrufen können. Dieser Aspekt mag ein Grund dafür sein, warum vor allem erfolgreiche Filme sich nicht mit der bloßen Verwendung von Genrekonventionen zufrieden geben und eher zur Ausbildung eines neuen Genres führen. 3