Phänomenologie der Heldenreise in ausgewählten Genres

Der Abenteuerfilm

Das Abenteuer-Genre ist äußerst facettenreich. Monumentalfilme wie Ben Hur 1, Piratenfilme wie Fluch der Karibik 2 oder auch der erfolgreiche Indiana Jones-Zyklus 3 gehören in die Kategorie des Abenteuer-Genres, wobei seine Definition in der Literatur durchaus  vielfältig ist. Kinder und Wieck subsummieren sämtliche Genres mit einem bestimmten Helden-Profil unter der Kategorie »Heldengeschichte«, wozu sie u.a. den Kriminalfilm und den Abenteuerfilm zählen. Diese Entscheidung erscheint aus dramaturgischer Sicht fragwürdig, da beispielsweise ein Whodunit-Krimi mit einem Sandalenfilm augenscheinlich wenig gemein hat. Was sie dennoch teilen, ist eine bestimmte Art von Held, der sich vor allem durch Eigenschaftslosigkeit auszeichnet. Betrachtet man den typischen Abenteuer-Helden und die Dramaturgie seiner Geschichte, wie sie in der Literatur beschrieben werden, offenbart sich in der Tat ein Kuriosum: In kaum einem anderen Genre ist der Held so wenig heldenhaft wie im Abenteuerfilm. »Ein Held wird höchst selten im Stadium des Werdens gezeigt, ein Held ist da.« 4

Tatsächlich ist es vielen stark konventionalisierten Abenteuerfilmen zueigen, Helden schlicht zu behaupten und sie als Alleskönner zu etablieren. Auch mythische Helden werden häufig bereits als Helden geboren, dennoch wird ihr Heldentum im Mythos hinterfragt – ja sogar provokativ auf die Probe gestellt, wie man es beispielsweise in der Odyssee erleben kann. Odysseus, der Held, der Troja besiegte, verfällt der Hybris und vergisst, dass er nur durch die Unterstützung Poseidons seinen Feldzug gewinnen konnte. Folglich wird er von Poseidon bestraft und muss sein Leben auf dem Meer fristen. Erst durch das Erlernen von Demut kann es ihm gelingen, den Bann zu brechen. In dieser Lehre finden wir letztlich jenen mythischen Kern, der den Helden auf seiner Reise konstituiert. Ironischerweise wird dieses psychologische Mindestmaß des Mythos in der Konvention des Abenteuerfilms nicht berücksichtigt. Traber und Wulff beschreiben sogar, dass die Flachheit der Charaktere zugunsten einer starken körperlichen Präsenz der Schauspieler dem Genre zugehörig ist. 5

Das Abenteuer-Genre geht zurück auf die populäre Literatur des 19. Jahrhunderts, seine typischen Motive sind z.B. private Rache, Flucht, politische Missionen, die Suche nach Schätzen und nach Glück. Nachdem die Aufgabe an den Helden herangetragen wurde, muss der Held in die Ferne ziehen, das kostbare Gut ist das Ziel seiner Reise. Action- und Kampfszenen sind gehäuft anzutreffen, allerdings differieren sie je nach Subgenre. Weiterhin Genre-typisch ist das Natur-Motiv, das sich in einem Kampf gegen die Kräfte der Natur oder in eindrücklichen Naturaufnahmen darbieten kann. Was vom Helden während des Abenteuers typischerweise gefordert ist, ist die Begegnung mit dem Fremden, häufig fremden Stämmen oder Kulturen. Während ihm dieses Fremde zunächst feindlich begegnet, ist er in die Pflicht genommen, sich durch Anpassung Freunde zu schaffen. Im Wesentlichen entspricht all dies jenen Konventionen, die von Vogler beschrieben und in dieser Arbeit als typische Symbole für den Individuationsprozess interpretiert wurden. Was die Dramaturgie des Abenteuers betrifft, orientieren sich auch Kinder und Wieck an Christopher Vogler, indem sie sein Modell der Heldenreise als die typische Dramaturgie des Abenteuerfilms definieren. Sie weisen sogar darauf hin, dass Voglers Modell am besten im Abenteuer-Genre aufgehoben ist.

Betrachtet man die Konventionen des Abenteuergenres, lässt sich erahnen, warum Voglers Archetypen-Beschreibungen derart weit von dem entfernt sind, was die Archetypen unter tiefenpsychologischen Gesichtspunkten auszeichnet. Seine Beschreibungen erweisen sich als phänomenologische Beobachtungen von Konventionen des Abenteuer-Genres – was für die Dramaturgie des Abenteuerfilms gewiss nützlich sein mag, in der Übertragung auf andere Genres jedoch nicht durchweg plausibel ist. Sein Irrtum ist verzeihlich, wenn man einen weiteren Aspekt berücksichtigt: Die Charakterlosigkeit der Abenteuer-Figuren lässt dieses Genre stark in die Nähe des Mythos rücken, dessen Psychologie sich mehr durch äußere Phänomene ausdrückt, als dass seinen Figuren ein mehrdimensionales psychologisches Profil zugesprochen werden könnte. Dennoch wäre es ein voreiliger Schluss, zu behaupten, prototypische Figuren des Abenteuerfilms wären aufgrund der Nähe zum Mythos mit Archetypen gleichzusetzen. Trotz der Ähnlichkeiten mit dem Mythos handelt es sich beim Abenteuerfilm um eine Kunstform, deren ästhetische Konventionen weit mehr Faktoren Rechnung tragen müssen als der Mythos. Allem voran seien die kulturellen Gewohnheiten genannt, die zur Etablierung konventionalisierter Symboliken beitragen, womit sowohl die Sehgewohnheiten als auch die Einbettung in einen Kulturkreis auf die Ästhetik des Abenteuerfilms zurückwirken. Weiterhin spielen dramaturgische Anforderungen in die Genre-Konventionen hinein, deren Ziel nicht allein die Generation eines Mythos ist, sondern vor allem die Generation von Spannung und Plausibilität. All jene Faktoren mögen auch das Entstehen der zweifelhaften Archetypen Voglers wie den Gestaltwandler, den Schwellenhüter oder den Herold erklären. Da ihr Ursprung eher ein Genre ist als der Mythos an sich oder gar die menschliche Psyche, ist es nachvollziehbar, wenn Kinder und Wieck jene Phänomene als originäre Phänomene des Abenteuer-Genres bezeichnen.

  1. Regie: William Wyler (1959)
  2. Regie: Gore Verbinski (2003)
  3. z.B. Jäger des verlorenen Schatzes, Regie: Steven Spielberg (1980)
  4. Kinder und Wieck 2001, S. 320
  5. Vgl. Traber / Wulff 2004, S. 19